Beim Niesen musst du die Beine überkreuzen – aber das ist doch normal, oder?
- Isi Schwager

- 17. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Warum auch ein paar Tropfen Urin eine Inkontinenz sind – und warum du dich früh darum kümmern solltest.

Mamas können halt nicht mehr joggen
Bei Instagram kursierten eine Zeit lang Videos von Müttern, die beim Niesen die Beine kreuzen müssen, unterlegt mit dem Song „Because of you!“, während sie auf ihr Kind zeigten. Witzig? Eher ein Herunterspielen eines Problems. Vielleicht kennst du das auch und spürst du beim Niesen, Hüpfen oder Lachen etwas Feuchtigkeit in der Unterhose – und denkst: „Na gut, vielleicht hängt das mit der Geburt zusammen.“ Oder: „Sind ja nur ein paar Tropfen.“ Tatsächlich: Auch wenige Tropfen Urinverlust sind bereits eine Inkontinenz. Und nein – das ist nicht normal. Es ist zwar häufig, gerade nach Schwangerschaft und Geburt, aber vor allem behandelbar – und zwar am besten möglichst früh.
Wann beginnt Inkontinenz – schon vor oder nach der Geburt?
Inkontinenz zeigt sich nicht erst nach der Geburt. Schon während der Schwangerschaft erleben viele Personen Probleme: 41 % haben eine Belastungsinkontinenz im Verlauf der Schwangerschaft. Nach der Geburt klingt sie nicht einfach ab – bei rund 30 % bleibt sie noch zwei Jahre später spürbar. Wenn die Inkontinenz bereits in der Schwangerschaft auftritt, erhöht sich das Risiko, dass sie langfristig bestehen bleibt.
Aber Inkontinenz betrifft nicht nur Personen nach Schwangerschaft und Geburt. Auch ohne diese Erlebnisse können Menschen betroffen sein. Gerade Leistungssportler*innen in Disziplinen wie Trampolinspringen oder Handball berichten von Inkontinenz, ohne jemals schwanger gewesen zu sein. Studien zeigen, dass bis zu 80 % der professionellen Trampolinspringer*innen in solchen Bereichen betroffen sind, ohne jemals schwanger gewesen zu sein. Das liegt daran, dass der Beckenboden bei solchen Sportarten immer wieder starken Druck abbekommt. Häufig fehlt aber das nötige Wissen oder ein gezieltes Training, um den Beckenboden zu schützen und zu stärken. Dabei gibt es sehr wirksame präventive und therapeutische Trainingsmethoden, die das verhindern können.
Die verschiedenen Arten von Inkontinenz – kurz erklärt
Belastungsinkontinenz: Das ist der häufigste Typ, bei dem du beim Niesen, Husten, Lachen oder Sport kleine bis große Mengen Urin verlierst. Die Ursachen sind verschieden. Es kann ein zu beweglicher Blasenhals sein, eine Muskelschwäche, neurologische Ursachen haben, schwaches Bindegewebe oder eine Überdehnung der Bänder und des Beckenbodens.
Dranginkontinenz: Hier kommt ein plötzlicher, starker Harndrang, der kaum oder gar nicht aufzuhalten ist. Die Blasenmuskulatur reagiert überaktiv – oft ausgelöst durch Stress, chronische Erkrankungen oder Entzündungen, aber auch durch Östrogenmangel (z. B. in den Wechseljahren). Der Beckenboden an sich ist hier weniger die Ursache, spielt jedoch trotzdem eine Rolle.
Mischinkontinenz: Eine Kombination aus Belastungs- und Dranginkontinenz.
Stuhlinkontinenz: Der Verlust von Stuhl oder übermäßigem Darmwind. Ursachen sind auch hier vielfältig. Instrumentelle Geburten (z. B. Saugglocke), Verletzung des Schließmuskels und neurologische Ursachen sind Hauptursachen.
Warum du dich früh kümmern solltest
Selbst wenn es nur wenige Tropfen sind, ist das ein Zeichen, dass du Unterstützung brauchst. Lass dich nicht mit „Das ist doch normal“ oder „Bei anderen ist das viel schlimmer.“ abspeisen. Studien zeigen: Belastungsinkontinenz wird ohne Behandlung in der Regel schlimmer – besonders mit dem Älterwerden und nach mehreren Belastungen. Unbehandelt kann Belastungsinkontinenz nicht nur in seiner Ausprägung stärker werden, sondern auch in eine Dranginkontinenz oder Mischform übergehen. Häufig erlebe ich in meiner Betreuung, dass sich die Symptome kurz nach der Geburt verbessern, aber nach einigen Monaten erneut verschlechtern.

Was hilft? So kannst du Inkontinenz behandeln
Alltagsverhalten verbessern: Schon kleine Änderungen beim Heben, Atmen und Toilettenverhalten entlasten den Beckenboden.
Gezieltes Beckenbodentraining: Mit professioneller Anleitung lernst du, wie du deinen Beckenboden trainieren und unterstützen kannst. Denn wie die Ursachen schon vermuten lassen, ist das sehr individuell. Nicht für jeden Beckenboden ist ein reines Krafttraining hilfreich. Für manche ist es sogar eher schädlich.
Pessare: Mechanische Unterstützung, die den Beckenboden bei Druck entlastet und die Symptome verbessern oder sogar ganz verschwinden lassen.
Blasentraining bei Dranginkontinenz: Ein Training, das dir hilft, den Harndrang besser zu kontrollieren.
Medikamente: Sowohl bei einer Belastungsinkontinenz als auch bei einer Dranginkontinenz können Medikamente in Betracht gezogen werden.
Fazit: Nimm dich und deine Inkontinenz ernst
Auch ein kleiner Tropfen Urin ist kein Grund zur Beruhigung. Wenn du unter Inkontinenz leidest – egal ob nach Geburt, Schwangerschaft, Sport oder ganz unabhängig davon – such dir Unterstützung. Je früher, desto besser – und ja, es lohnt sich wirklich.
Wenn du Unterstützung bei Beckenbodentherapie in Mainz oder Wiesbaden suchst, kannst du dich bei mir melden und wir überlegen gemeinsam, welcher Weg für dich der Beste ist. Solltest du nicht in Mainz und Umgebung sein, kann ich dich online dazu beraten, wo du dich am besten hinwenden kannst und welche Ziele du verfolgen solltest.
Literatur
1: Moossdorff-Steinhauser, H. F. A. et al. (2021): Prevalence, incidence and bothersomeness of urinary incontinence in pregnancy: a systematic review and meta-analysis
2: Bonasia, K., Clancy, A. & Stairs, J. (2023): Prevalence and risk factors for urinary incontinence up to 2 years postpartum: a cross-sectional population-based study
3: Eliasson, K., Larsson, T. & Mattsson, E. (2002): Prevalence of stress incontinence in nulliparous elite trampolinists
4: Gonzales, A. L. et al. (2021): Prevalence and Treatment of Postpartum Stress Urinary Incontinence: A Systematic Review
5: Naumann, G. et al. (2023): Diagnostik und Therapie der Harninkontinenz der Frau. Leitlinie der DGGG, OEGGG und SGGG (S2k-Level, AWMF-Registernummer 015/091, Januar 2022)
6: Probst, M. et al. (2010): Übersichtsarbeit Stuhlinkontinenz, Teil 4 der Serie Inkontinenz





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