Beckenboden verstehen – Warum Rückbildung so viel mehr ist als ein Rückbildungskurs
- Isi Schwager
- 3. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Der Beckenboden ist ein faszinierender und gleichzeitig oft übersehener Teil unseres Körpers. In meiner Arbeit als Hebamme und Beckenbodentrainer*in in Mainz und Wiesbaden erlebe ich täglich, wie groß der Unterschied ist, wenn Menschen anfangen, sich bewusst mit ihm auseinanderzusetzen – nicht nur nach einer Geburt, sondern in jeder Lebensphase.

Was genau ist der Beckenboden überhaupt?
Der Beckenboden ist ein muskuläres und fasziales (bindegewebiges) Netzwerk, das sich wie ein Fallschirm zwischen Symphyse (Schambein), Sitzbeinhöckern und Steißbein aufspannt (siehe Abbildung 1). Er besteht aus verschiedenen größeren und kleineren Muskeln, Faszien und Bindegewebe und sorgt mit unseren Bändern für Stabilität im Becken. Er ist also nicht bloß eine Muskelplatte, sondern ein dynamisches, fein abgestimmtes System.
Der Beckenboden ist kein Mama-Thema
Obwohl der Beckenboden vor allem im Zusammenhang mit Geburt und Rückbildung thematisiert wird, betrifft seine Funktion uns alle – unabhängig von biologischem Geschlecht oder Lebenssituation. Wer atmet, wer sich bewegt, wer aufrecht stehen oder schmerzfrei sein möchte, profitiert von einem gesunden Beckenboden.
Die gesellschaftliche Tabuisierung rund um Themen wie Inkontinenz oder Organsenkung führt leider oft dazu, dass Menschen viel zu spät oder gar nicht darüber sprechen. Dabei ist der Beckenboden kein Schwächethema – sondern ein Schlüssel zur Stabilität, Kraft und Lebensqualität.

Warum darfst du dich mit dem Beckenboden beschäftigen?
Weil er weit mehr Aufgaben übernimmt, als vielen bewusst ist. Der Beckenboden: trägt unsere Organe, wie Blase, Uterus (Gebärmutter) oder Darm. Er sichert Kontinenz, also das Halten von Urin und Stuhl. Er unterstützt unsere Atmung – gemeinsam mit dem Zwerchfell (Haupt-Atemmuskel unterhalb der Rippen) und unseren Bauchmuskeln. Er spielt eine Rolle in der Sexualität und Orgasmusfähigkeit – durch Durchblutung, Wahrnehmung und Spannkraft. Er stabilisiert unseren Rumpf und Rücken – ist Teil der tiefen Bauchmuskulatur. Er ist aktiv beteiligt an Bewegung und Haltung – besonders bei Sport, schwerem Heben oder im Alltag.
Rückbildung: Mehr als „zurück zum alten Körper“
Viele Menschen verbinden mit dem Beckenboden Rückbildung. Und mit Rückbildung ein paar Stunden im Kurs nach der Geburt. Doch Rückbildung ist nicht einfach das „Zurückbilden“ des Körpers in einen vorherigen Zustand – es geht vielmehr um Heilung, Stärkung und Integration. Gerade nach einer Schwangerschaft und Geburt hat der Körper Unglaubliches geleistet. Rückbildung bedeutet: dem Körper Raum geben, sich neu zu finden und in seine Kraft zu kommen. Das muss nicht bedeuten, in den vorherigen Zustand zurückzukehren.
Was passiert, wenn der Beckenboden aus dem Gleichgewicht gerät?
Ein nicht optimal arbeitender Beckenboden kann ganz unterschiedliche Beschwerden hervorrufen – körperlich, aber auch emotional. Hier einige Beispiele:
Ungewollter Urinverlust beim Niesen oder Springen – sogenannte Stressinkontinenz
Druckgefühl oder Senkungen im Becken, z. B. nach der Geburt
Rückenschmerzen, besonders im unteren Bereich, bis hin zu Bandscheibenvorfällen
Verlust an sexueller Empfindsamkeit
Verstopfung oder Stuhlhalteschwäche
Schmerzen durch dauerhafte Anspannung – was oft übersehen wird! Nicht nur ein „zu weicher“, sondern auch ein zu verspannter Beckenboden kann Probleme machen
Das Blöde: Viele Betroffene glauben, diese Symptome seien normal. Sie arrangieren sich damit – aus Scham, Unwissenheit oder Zeitmangel. „Du hast Kinder bekommen? Na, dann musst du beim Niesen halt die Beine überkreuzen, ist doch normal!“
Das ist nicht normal, es ist gewöhnlich. Das Problem daran: Wenn der Beckenboden nicht die Hilfe und Therapie bekommt, die er braucht, bleibt das Problem bestehen und verschlimmert sich oft mit der Zeit. Wenn er jedoch von Anfang an unterstützt wird, gehen die Symptome häufig wieder zurück.
Was das im Alltag bedeuten kann, zeigt ein Beispiel aus meiner Praxis:
Eine Klientin kam schon kurz nach ihrer ersten Geburt zu mir. Sie litt unter starken Schmerzen am Steißbein und konnte kaum sitzen. Nach längerem Stehen spürte sie ein unangenehmes Druckgefühl im Becken – und beschrieb das Gefühl: „Irgendwas stimmt da unten nicht." Ihre Gynäkologin vermutete einen Steißbeinbruch – „Da kann man leider nichts machen“. Bei der Beckenbodentestung zeigte sich: Auf einer Seite lag ein muskulärer Defekt vor, den die andere Seite versuchte auszugleichen. Dadurch war ihr Beckenboden insgesamt stark verspannt. Mit gezielter Körperarbeit, Entspannung und regelmäßigem Beckenboden-Yoga konnte sie Schritt für Schritt Fortschritte machen. Inzwischen hat sie ihr zweites Kind geboren – und ihrem Beckenboden geht es heute besser als nach der ersten Geburt. Auch Sitzen ist für sie kein Problem mehr.
Der Beckenboden und die Gesamtgesundheit
Ein gesunder Beckenboden wirkt wie ein inneres Zentrum. Er beeinflusst:
Haltung und Bewegung – durch seine Verbindung mit Rumpf und Hüfte und sogar mit Füßen und Kiefer
Atmung und Stressverarbeitung – über die Zusammenarbeit mit dem Zwerchfell
Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein – weil ein stabiler Körper auch mental trägt
Gerade in der Zeit der Rückbildung, aber auch nach Operationen, Verletzungen oder in hormonellen Umstellungsphasen (z. B. Wechseljahre), ist die bewusste Arbeit mit dem Beckenboden ein echter Gamechanger.
Wie geht’s weiter?
Dieser Artikel ist ein Einstieg. In den folgenden Artikeln wird es um Themen wie Beckenboden in der Schwangerschaft, Beckenbodenprobleme, Pessare und vieles mehr gehen. Und dann gibt es auch noch das Thema Bauchgesundheit und Rektusdiastase (und was ist das überhaupt?). Es wird also nicht langweilig.
Wenn du in Mainz, Wiesbaden oder Umgebung lebst und das Gefühl hast, dein Beckenboden verdient mehr Aufmerksamkeit – dann nimm das ernst. Vielleicht war da ein Aha-Moment beim Lesen. Vielleicht erkennst du dich in den beschriebenen Beschwerden wieder. Das ist kein Zeichen von Schwäche – sondern eine Einladung, Verantwortung für deinen Körper zu übernehmen.
Ich begleite dich gern in dieser Phase: mit fundierter Rückbildung, gezielter Beckenboden-Testung, achtsamer Körperarbeit und ganz viel Raum für Fragen, Offenheit und Entwicklung.
Du lebst nicht in Mainz? Auch wenn ich deinen Beckenboden online nicht direkt untersuchen kann, ist eine erste Einschätzung dennoch möglich: Anhand deiner Anamnese und deiner Erzählung finden wir gemeinsam heraus, welche nächsten Schritte für dich sinnvoll sind – und wo du dir Unterstützung holen kannst. Schreib mir einfach – ich begleite dich gern.
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