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Wenn der Beckenboden piekst – Beckenbodenschmerzen in der Schwangerschaft verstehen und lindern

Der Beckenboden ist ein faszinierendes System. Er trägt, hält, stabilisiert – und das besonders in der Schwangerschaft. Umso irritierender ist es, wenn er plötzlich nicht mehr einfach „funktioniert“, sondern sich bemerkbar macht: durch ein Ziehen, Drücken, Brennen oder ein pieksendes Gefühl. Für viele Schwangere fühlt sich das an wie eine Distel im Unterbauch – unangenehm, stechend und wackelig.


Eine Diestel-Blüte als Metapher für den Beckenboden

Das Gute vorweg: Diese Beschwerden sind zwar belastend, aber fast immer gut behandelbar. Sie bedeuten nicht, dass dein Beckenboden „kaputt“ ist. Oft steckt schlicht eine vorübergehende Überlastung oder Verspannung dahinter – und genau da kannst du ansetzen.


Was passiert mit dem Beckenboden in der Schwangerschaft?

Während der Schwangerschaft leistet der Beckenboden Schwerstarbeit:

  • Der wachsende Uterus und das steigende Gewicht des Kindes drücken von oben auf ihn.

  • Hormone lockern Bänder und Gewebe, was für die Geburt wichtig ist, aber die Stabilität herausfordert.

  • Durch die Gewichtsverlagerung nach vorn kippt das Becken, die Rundung im unteren Rücken wird größer – die Körperstatik verändert sich.

Diese Anpassungen sind sinnvoll, können aber dazu führen, dass der Beckenboden überfordert reagiert. Manche Muskeln lassen zu schnell nach, andere halten sich zu fest. So entstehen Spannungen – und manchmal Schmerzen.


Pieksender Beckenboden: Zu wenig Kraft oder zu viel Spannung?

Ein weitverbreiteter Irrtum ist, dass Schmerzen im Beckenboden immer auf Schwäche hindeuten. Tatsächlich zeigen Studien: Häufig ist das Gegenteil der Fall. Eine erhöhte Muskelspannung (Hypertonie) kann zu Schmerzen, Missempfindungen und dem typischen „Pieksen“ führen.

Forschungen weisen darauf hin, dass bei chronischen Beckenschmerzen oft eine überaktive, verspannte Beckenbodenmuskulatur vorliegt. Auch in der Schwangerschaft findet man Hinweise, dass ein erhöhter Muskeltonus und sogenannte Triggerpunkte (schmerzhafte Verhärtungen) beteiligt sind – insbesondere im Bereich des Levator ani (großer innerer Beckenbodenmuskel) und Obturator internus (Hüftmuskel). Zwar ist die Studienlage speziell zur Schwangerschaft noch begrenzt, aber die Hinweise sind eindeutig: Verspannung spielt eine wichtige Rolle.


Warum fühlt es sich manchmal an wie eine Distel?

Das Bild der Distel beschreibt das Empfinden vieler Schwangerer sehr treffend:

  • stechend oder brennend

  • hart und angespannt

  • mal da, mal weg – oft abends oder beim Sitzen

Dieses Gefühl entsteht, wenn der Beckenboden ständig auf „Habacht“ steht und nicht loslässt. Mit der Zeit führt das zu Reizzuständen – und damit zu den unangenehmen Pieksgefühlen.


Warum eine hypertonische Beckenbodenmuskulatur beachtet werden sollte

Ein verspannter Beckenboden klingt harmlos, kann aber weitreichende Folgen haben.

Während der Geburt: Eine hohe Muskelspannung kann das Loslassen erschweren. Das macht die Dehnung schwieriger, kann Schmerzen verstärken und den Geburtsprozess verzögern. Umgekehrt unterstützt ein gut entspannungsfähiger Beckenboden eine leichtere, natürlichere Geburtserfahrung.

Für die Kontinenz: Spannungsstörungen stören die Koordination. Manche Muskeln geben zu früh nach, andere nicht rechtzeitig – beides kann das Risiko für Inkontinenz erhöhen, auch Jahre nach der Geburt. Ein anschauliches Bild: Wer seinen Arm den ganzen Tag in der Luft hält, ist irgendwann erschöpft. Kommt dann noch zusätzlicher Druck, kann der Arm nicht mehr halten – genau so kann es auch dem Beckenboden gehen.

Für die Blase und den Darm: Ein dauerhaft verspannter Beckenboden erschwert Entleerung, kann Schmerzen auslösen und das Gefühl verstärken, nicht loslassen zu können.


Eine schwangere Person sitzt auf einem Schaukelstuhl in der Sonne, der Bauch ist frei, in den Händen eine Tasse.

Kann das auch nach der Geburt bestehen bleiben?

Ja. Auch im Wochenbett oder Monate später können Spannungen fortbestehen oder sich verstärken – besonders, wenn sie schon in der Schwangerschaft nicht beachtet wurden. Die gute Nachricht: Die gleichen Strategien, die in der Schwangerschaft helfen, sind auch nach der Geburt wirksam.


Alltagstaugliche Übungen zur Beckenboden-Entspannung

Diese Übungen helfen, den Beckenboden bewusst wahrzunehmen, loszulassen und Spannungen zu lösen:


1. Bauchatmung (Zwerchfellatmung)

Setzte dich bequem, aufgerichtet hin. Lege eine Hand auf den Bauch. Atme tief durch die Nase ein, sodass der Bauch sich hebt. Beim Ausatmen lass Bauch und Beckenboden los – wie Eis, das langsam schmilzt. 5–10 Atemzüge, mehrmals täglich.


2. Beckenschaukeln

Auf einem Gymnastikball sitzen oder im Stehen: Becken sanft nach vorn und hinten kippen, dann Kreise malen – mal kleiner, mal größer. Weiche, langsame Bewegungen. 1–2 Minuten, immer wieder zwischendurch.


3. Liegender Schmetterling

Mit Kissen unter dem oberen Rücken hinlegen, Schultern liegen flach auf, Kopf sinkt auf den Boden, Arme entspannt seitlich. Fußsohlen zusammenführen, Knie nach außen sinken lassen. Mit jeder Ausatmung mehr loslassen. Bis zu 3 Minuten bleiben.


4. Beckenboden-Entlastung 

Rückenlage, Kissen unter das Becken. Beine anziehen und nacheinander nach oben ausstrecken. 6 tiefe Atemzüge halten. Alternative: Beine an der Wand hochlegen. Besonders hilfreich abends bei Schmerzen oder bei Senkung. Mit abgelegten Beinen kann es auch gut und gerne zehn Minuten gehalten werden.


5. Loslass-Übung („Reverse Kegel“)  

Setz dich bequem aber aufrecht hin, atmest tief in den Bauch. Stell dir vor, dein Beckenboden fährt langsam nach oben, dann kontrolliert herunter – so wie ein Fahrstuhl. Nicht pressen, sondern sanft loslassen. Anspannen → halten → entspannt absenken. Bringe den Beckenboden erst wieder in die Spannung, wenn er vollkommen losgelassen hat. Konzentriere die auf die Entspannung, probiere dafür ggf. verschiedene Positionen aus. Mehrmals täglich, besonders bei spürbaren Pieksern.


Fazit

Beckenbodenschmerzen in der Schwangerschaft sind kein Tabuthema – und sie sind auch kein Zeichen von Schwäche. Häufig steckt Spannung dahinter, nicht Nachlässigkeit. Mit Wissen, gezielter Entspannung und kleinen Übungen lässt sich viel verändern. Dein Beckenboden ist anpassungsfähig – und du kannst aktiv dazu beitragen, dass er sich wieder leichter anfühlt.


Bist du unsicher, ob dein Beckenboden tatsächlich verspannt ist?

In einem individuellen Check-Up lässt sich feststellen, ob und wo die Muskulatur zu viel Spannung hat – und welche Übungen oder Alltagsstrategien dir helfen können


Literatur

  1. Fitzgerald CM et al. (2012): The association between pelvic girdle pain and pelvic floor muscle function in pregnancy.

  2. van Reijn-Baggen DA et al. (2022): Pelvic Floor Physical Therapy for Pelvic Floor Hypertonicity: A Systematic Review of Treatment Efficacy.

  3. Torosis M et al. (2024): A Treatment Algorithm for High-Tone Pelvic Floor Dysfunction.

 
 
 

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